Mein Name ist Lennart Dreyer und ich arbeite seit zweieinhalb Jahren in der Unternehmenskommunikation des KRH. Seit einem Jahr bin ich Chefredakteur der CURA. An einem Samstag im Spätsommer habe ich Pflegekräfte bei ihrer Nachtschicht in der Zentralen Notaufnahme im KRH Klinikum Nordstadt begleitet. Diese Stunden werden mir immer im Gedächtnis bleiben. Die Kolleg*innen und ihre Arbeit verdienen tiefsten Respekt.
20.30 Uhr Die Nachtschicht beginnt. Es ist warm, die Stimmung noch entspannt. Ich sitze mit Kalle, Andrea, Thomas und Benni im Aufenthaltsraum.
21.05 Uhr Andrea hat mich gekrallt und ich folge ihr unauffällig im Pflegedress und mit Notizblock. Beim Betreten des ersten Behandlungszimmers läuft es mir kalt den Rücken herunter. Blut habe ich schon gesehen, aber Knochenknacken ist nicht so meins. Im Zimmer versucht die Unfallchirurgin gerade, einem jungen Mann die Schulter einzurenken. Sie ist in sich verdreht, der Arm steht leicht nach hinten – Sportunfall. Andrea packt sofort mit an. Ich drücke mich mit dem Rücken an die Tür.
21.25 Uhr Kalle nimmt Anrufe nur noch mit einem „ist brechend voll“ entgegen. Er teilt jeden Ankömmling nach Dringlichkeit ein. Dabei hilft ihm seine Erfahrung – er arbeitet seit 34 Jahren in der Notaufnahme.
21.40 Uhr Eine Patientin, die behauptet, sie sei selbst Krankenschwester, hat sich zu Hause eine Infusion gelegt und vergiftet. Andrea pumpt die hochkommende Magenflüssigkeit ab. Einiges ist schon danebengegangen. Das Bett muss gewechselt werden. Die Operation wird vorbereitet.
22.00 Uhr Der erste Rettungssanitäter will mir eine Patientin übergeben. Die Notaufnahme ist voll. Kalle brüllt in alle Richtungen: „Gleich, gleich, gleeeeich!“
22.30 Uhr Die Schulter ist nach einer Vollnarkose wieder eingerenkt. Der Patient telefoniert mit Armbinde und streckt mir den Daumen entgegen. Andere Patienten winken mir zu, damit ich zu ihnen komme.
23.20 Uhr Benni bestellt Pizza. Andrea betreut heute die Unfallpatienten und kommt zurzeit nicht zu einer Pause. Stürze, Hüftbrüche, Fahrrad- und Autounfälle. Gerade hilft sie dabei, eine Hüfte einzurenken.
0.00 Uhr 130 Patient*innen wurden bisher aufgenommen. Viele sind schon behandelt, einige warten seit Stunden. Der Krankenwagen bringt eine Muskelzerrung. Andrea ist freundlich – und wütend, denn so jemand gehört nicht in die Notaufnahme. Eine Patientin aus einem Pflegeheim wartet wieder auf den Abtransport. Sie hat keine Symptome.
0.22 Uhr Ein Schmetterling fliegt durch das Behandlungszimmer, während der Unfallchirurg einen Knöchel abtastet.
0.40 Uhr Etwas Zeit für kalte Pizza, kalte Cola und Small Talk. Andrea mag die Arbeit. Nach der Schicht ist ihr Tipp: direkt ins Bett und lange schlafen. Sie hat heute noch eine Radtour geplant.
2.00 Uhr Der erste Patient wird zur Blutabnahme von der Polizei eingeliefert. Die Alkohol- und Partyfälle trudeln ein.
2.40 Uhr Kalle verlässt zum ersten Mal den Empfang und legt einen Gipsverband für ein gebrochenes Handgelenk an. Ein Moment der Ruhe.
3.00 Uhr Vier Patienten und acht Rettungssanitäter warten auf Aufnahme. Dazu ist ein Schlaganfallverdacht unterwegs. Benni bereitet den Schockraum vor, er ist heute für die Neuropatienten verantwortlich. Ein Patient war um 2 Uhr mit tauber Hand aufgewacht. Später stellt sich heraus: Fehlalarm.
3.40 Uhr Mehr kalte Pizza zwischen blutenden Sturzwunden, gebrochenen Gelenken und Problemen, die nicht in die Notaufnahme gehören.
4.16 Uhr Der erste bewusstlose Sturzbetrunkene. Seine Atmung geht schwer. Thomas versucht, ihn mit der Ärztin stabil zu bekommen.
5.03 Uhr CT und Röntgenuntersuchungen sind gemacht. Mittlerweile werden noch andere Ärzte hinzugezogen und Maßnahmen diskutiert. Thomas’ Stimme platzt in die Diskussion: „Guten Morgen. Da bist du ja wieder.“ Der Patient hat die Augen geöffnet und versucht, sich die Infusionen zu entfernen.
5.10 Uhr Der Patient ist stabil und schläft.
5.50 Uhr Irgendwie fühle ich mich müde und dennoch wach. Ich bin mir sicher, dass ich heute nicht mehr schlafen kann. Andrea ist immer noch unterwegs. Ein Mann wurde blutend am Hauptbahnhof gefunden und ist mit dem Krankenwagen gekommen. Als er vor mir sitzt, läuft das Blut aus einer Kopfwunde. Er spielt am Handy. Eine klassische Absturzgeschichte.
6.01 Uhr Patientin mit Verdacht auf Schlaganfall. Die Ärztin der Nachtschicht übernimmt noch die Aufnahme. Die erste Kollegin der Frühschicht ist da.
6.15 Uhr Andrea und ich machen uns auf den Weg in die Umkleiden. Auf dem Flur steht ein verwirrter Mann. Er spricht undeutlich, man kann ihn kaum verstehen. Kalle übernimmt und brüllt: „Hierher, wenn Sie sich anmelden wollen.“