Vielleicht war es ja dieser eine Augenkontakt mit einer ihr fremden Person. Vielleicht aber auch ganz etwas anderes. Wir werden es nicht erfahren. Fakt ist: Die eben noch so gefasst wirkende Frau springt auf. Ihr laufen die Tränen übers Gesicht. Kein Halten. Keine Fassung. Mit Mühe kann ihr Mann sie daran hindern, aus dem nüchtern eingerichteten Bürozimmer zu stürzen.
Es ist keine zehn Minuten her, da wirkte das Paar draußen auf dem Gelände der KRH Psychiatrie Wunstorf lediglich etwas orientierungslos. Wo genau die ambulante Sprechstunde für traumatisierte Geflüchtete stattfinden soll, ist den Gebäudebeschriftungen nicht so einfach zu entnehmen. Doch die zwei laufen förmlich ihrem Ziel in die Hände. Prof. Dr. Iris Graef-Calliess begegnet den beiden auf ihrem eigenen Gang über den Hof und nimmt sie kurzerhand mit. Während die Chefärztin der Klinik für Allgemeinpsychiatrie und Psychotherapie vielleicht schon etwas ahnt, scheint dem unbedarften Beobachter gerade die Frau in diesem Moment als die Gefasstere, Organisiertere von beiden.
Jetzt aber bricht sich die Verzweiflung Bahn. Die aus Syrien stammende Mutter von fünf Kindern, 47 Jahre, und erst seit wenigen Monaten in Deutschland, kann nicht mehr. Nicht jetzt, und überhaupt. Sie hält es in Gegenwart von Fremden schlicht nicht mehr aus, verlässt – wie sich später herausstellt – in ihrem neuen, unfreiwilligen Zuhause im eigentlich so heimeligen Umland Hannovers nicht mehr das Haus.
Dschungel der Behörden
Dass es das Ehepaar an diesem Morgen mit öffentlichen Verkehrsmitteln quer durch die Region bis nach Wunstorf geschafft hat, grenzt rückblickend an ein Wunder – und ist einer besonderen Kooperation zu verdanken: zwischen der KRH Psychiatrie Wunstorf und dem Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen (NTFN), dem auch Die Chefärztin angehört. Die Kontakte des NTFN reichen tief bis in die ehrenamtlichen Helferstrukturen der kommunalen Betreuung für Geflüchtete. „Wir haben eine lange Warteliste von Betroffenen, die auf einen Termin bei einem Psychiater warten“, berichtet Franziska Fricke später, die für das NTFN die KRH-Termine organisiert.