Isolation, Verunsicherung, Bedrohung – die Corona-Pandemie ist eine große Belastung auch für die seelische Gesundheit. Ein Patentrezept dagegen ist nicht in Sicht – und doch gibt es Grund zur Hoffnung.
Eine Pandemie ist für alle hart. Wer keine Familie um sich hat oder haben darf, seine Freunde nicht treffen kann, für den wird Trost in solcher Zeit zur Mangelware. Und damit befällt das Coronavirus einen empfindlichen Nerv. „Soziale Unterstützung ist einer der Hauptfaktoren für seelische Gesundheit“, sagt Prof. Dr. Iris Tatjana Graef-Calliess. Die Ärztliche Direktorin der KRH Psychiatrie Wunstorf, hält sich nicht mit Schönfärberei auf: „Daran ist in Zeiten einer Kontaktsperre nichts zu ändern.“
Ihr Kollege Dr. Arnd Hill, Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie in Wunstorf, weist auf besorgniserregende Faktoren auch für die Arbeit im Klinikum hin: „Wir legen in unserer Arbeit großen Wert darauf, die Angehörigen und das direkte Umfeld in die Therapie miteinzubinden. All das fällt in Zeiten eines Besuchsverbotes sehr viel schwerer, wird manchmal sogar unmöglich.“ Ohnehin längere Behandlungszeiten als in rein somatischen Kliniken weiteten sich durch Abstands- und Hygienevorschriften zusätzlich aus.
Alles in allem keine erfreuliche Situation. Und doch sehen beide Mediziner einen Silberstreif am Horizont. Denn schon allein in der Erkenntnis, dass Angst und Verunsicherung in einer solchen Phase vollkommen natürlich sind, liege bereits eine gewisse Erleichterung. „Wir dürfen Angst haben“, sagt Graef-Calliess. Denn die Bedrohung durch das neue Virus „ist nicht sichtbar und es hat keine zeitliche Perspektive“.
Schon kleine Dinge können jedoch Halt geben. „Nehmen Sie die Alltagsmasken“, sagt Hill. Neben den physikalischen Effekten zur Ablenkung der Atemluft zählten auch sie zu „den Symbolen, den Ritualen, die sich Menschen schaffen, um sich Sicherheit zu geben“. Bei ihrem Anblick auf der Straße erinnerten sich die Passanten nicht nur stetig an die neuen Regeln zur Eindämmung der Pandemie. Die Masken zeigten auch, „dass diese Bedrohung uns alle gemeinsam betrifft. Das stärkt – zumindest bei den allermeisten Menschen – auch das Gemeinschaftsgefühl und die Solidarität.“
Dabei hat Arnd Hill als Gerontopsychiater besonders die älteren Menschen im Blick. „Die Öffentlichkeit diskutiert inzwischen viel darüber, was Leben wert ist und dass wir auch und gerade die alten Menschen schützen sollen. Jedoch gibt es im Diskurs diesbezüglich auch kritische Stimmen.“ Auch Iris Tatjana Graef-Calliess sorgt sich angesichts der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. „Nicht alle erleben eine Pandemie gleich“, mahnt sie. „Wer einen Garten hat, erträgt die Kontaktsperre natürlich gelassener als jemand, der sich in einer kleinen Wohnung zudem noch um seinen Job Sorgen machen muss.“ Sie wirbt deshalb um Verständnis für die vielleicht andere Lage des Nächsten und lobt zugleich die spürbar gesteigerte Bereitschaft in der Not, bislang Unmögliches umzusetzen.
Dabei denkt Graef-Calliess nicht vordringlich an die allseits heraufbeschworene Digitalisierung. „Die virtuelle Begegnung wird nie den persönlichen Kontakt ersetzen können“, betont die erfahrene Fachärztin. Vielmehr seien Denkprozesse ganz grundsätzlich auf einmal schneller. „Wir sind hier im Klinikum bei allen Sicherheitsabständen inhaltlich viel stärker zusammengerückt“, ergänzt Arnd Hill.
Die Angst, die COVID-19 in uns allen auslöse, sei nicht in fünf Minuten abzulegen. Darin sind sich beide einig. Doch der Blick weg von der Erwartung, die vielleicht andere an einen richteten, hin zu den kleinen Dingen, „dies kann ein Ansatz sein für spätere Tage“, sagt die Ärztliche Direktorin. „Wir haben in der Krise auch im Klinikum Menschen aus vielleicht zuvor fremden Bereichen in ihrer Arbeit ganz neu schätzen gelernt“, sagt Hill. Ein Ansatz, der jedem Menschen in vermeintlich isolierenden Zeiten eine ganz neue Solidarität schenke.