
Schmerzhaft: Bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit ist der Blutfluss in den Arterien der Beine oder des Beckens nur noch eingeschränkt möglich.
Die schmerzfreien Gehstrecken von Wolfgang Mertens sind immer kürzer geworden. Schon nach wenigen Hundert Metern muss der 72-Jährige stehen bleiben, zu sehr schmerzen die Beine. Mertens leidet unter der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), im Volksmund Schaufensterkrankheit genannt. Dabei liegen in den Arterien des Beckens oder der Beine Engstellen vor, Fett- und Eiweißbestandteile, Bindegewebe, sogenannte Plaques, lagern sich an der Gefäßwand ab und schränken den Blutfluss ein. „Es geht hier nicht einfach nur um belastungsabhängige Beinschmerzen, die pAVK ist eine oft unterschätzte Krankheit, die viele und vor allem ältere Menschen betrifft“, erläutert Dr. Hans Peter Lorenzen, Leitender Abteilungsarzt für Angiologie der Klinik für Nephrologie, Angiologie und Rheumatologie im KRH Klinikum Siloah, dem einzigen Zertifizierten Zentrum für Gefäßmedizin in der Region Hannover. Denn das Vorliegen einer Schaufensterkrankheit weist auf ein deutlich erhöhtes Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt hin. Die Ursachen für den gestörten Blutfluss sind Volkskrankheiten wie Diabetes, Übergewicht, erhöhter Blutdruck und erhöhte Blutfette, Bewegungsmangel und Nikotin. Jede*r Vierte über 70 Jahre ist betroffen, schätzt Dr. Lorenzen. Für die Diagnose wird mittels der Dopplerstiftsonde der Verschlussdruck an den Knöcheln gemessen, bei einem gesunden Menschen unterscheiden sich die Werte nicht von dem an den Armen gemessenen Blutdruck.
Ist der Knöcheldruck deutlich niedriger, beginnt die Therapie zunächst medikamentös. „Cholesterinsenker, Blutdrucksenker und Blutverdünner kommen zum Einsatz“, so Dr. Lorenzen. Zudem werden den Patient*innen eine Gewichtsreduktion und regelmäßige Bewegung empfohlen. „In der Regel treten die Schmerzen immer eine Etage tiefer auf – der Oberschenkel etwa liefert nicht mehr genug Blut für die Wade“, erläutert Dr. Götz Voshage, Ärztlicher Direktor des Instituts für Radiologie des KRH und Leiter des interdisziplinären Gefäßzentrums am KRH Klinikum Gehrden und am KRH Klinikum Neustadt. Oft werde zunächst Arthrose vermutet, „aber es geht um die Gefäße, die Orthopädie ist nicht immer die richtige Adresse“, betont Dr. Voshage. Für die Diagnose erfolgt zunächst eine Dopplersonografie, eine Ultraschalluntersuchung zur Messung der Geschwindigkeit des Blutflusses, oder ein Ultraschall. Hinzu kommen gegebenenfalls eine Gefäßdarstellung mit MRT oder CT, um Verschlüsse oder sogenannte Stenosen, also Engstellen, zu identifizieren. „Vor einem Eingriff steht zunächst intensiviertes Gehtraining an. Erst wenn das nicht hilft, kommen Katheter, Ballons und Stents zum Einsatz, um die Gefäße wieder zu eröffnen und durchgängig zu machen. Wir behandeln hier rund 600 bis 700 Patient*innen im Jahr, die pAVK ist eine Art von Volkskrankheit“, so Dr. Voshage. „Es gibt natürlich ganz verschiedene Stellen im Körper, an denen Gefahr besteht, dass das Blut nicht mehr richtig fließt, betont Prof. Dr. Hans-Gerd Fieguth, Chefarzt der Klinik für Thorax und Gefäßchirurgie im KRH Klinikum Siloah und KRH Klinikum Nordstadt. Störungen im Bereich der Herzkranzgefäße sowie der Halsschlagader könnten zu Infarkt und Schlaganfall führen. „Ist die Becken- und Beinschlagader betroffen, kommt es zu den Durchblutungsstörungen in den Beinen.“ Im interdisziplinären Gefäßzentrum würden Patient*innen zunächst internistisch in der Angiologie diagnostiziert, bevor in der interventionellen Radiologie mit Katheter und Stents gearbeitet werde.
„In der Gefäßchirurgie werden dann weitergehende Eingriffe vorgenommen“, so Prof. Dr. Fieguth. Zu den Schwerpunkten zählen die Therapie von krankhaften Erweiterungen der Hauptschlagader, Verengungen der Halsschlagader und von Durchblutungsstörungen der Beine (pAVK oder arterielle Verschlusskrankheit). „Für jeden Patienten individuell wird im interdisziplinären Zentrum für Gefäßmedizin beraten, ob durch Operation (Bypass oder gefäßerhaltende Rotationsatherektomie), durch interventionelle Behandlungen wie Ballondilatation und Stentimplantation oder eine Kombination der Verfahren, die sogenannten Hybrideingriffe, das bestmögliche Ergebnis erzielt werden kann“, erläutert Prof. Dr. Fieguth. „Wir ersetzen große Operationen der Vergangenheit durch schonende, minimalinvasive im robotisch assistierten Hybridoperationssaal.“ Ziel sei stets eine komplette Wiederherstellung der Durchblutung, damit auch die Funktion etwa der Beine gewährleistet ist. Und natürlich, um Amputationen zu vermeiden. „Eine vollständige Heilung indes ist nicht möglich. Wir behandeln die Konsequenzen jahrelangen Rauchens, Bewegungsmangels und Übergewichts.“ Prof. Dr. Fieguth und sein Team betreuen rund 1000 Patient*innen stationär im Jahr. „Das sind täglich vier Operationen – und dreimal so viele Betroffene werden ambulant versorgt.“