Für Ingo Rembitzki, Leiter der Physiotherapie im KRH Klinikum Lehrte, ist Druck zunächst einmal eine physikalische Größe. „Druck als physikalische Einheit – Kraft pro Fläche – ist ein Parameter, der weltweit einheitlich verstanden wird und gut messbar ist.“ Druck werde überall im menschlichen Körper erzeugt, in Zellen, Gelenken, Blutgefäßen, im Lymphsystem, im Skelett und im Muskelgewebe. „Druck kann positiv wirken oder auch Schaden anrichten“, betont Rembitzki.
In der Physiotherapie wird „Kraft“ direkt oder indirekt, gezielt und dosiert auf eine Fläche des Körpers für therapeutische Zwecke übertragen. „Viele kennen den Druck beispielsweise auf die Gelenkflächen etwa durch zu viel Bewegung oder aber durch langes Sitzen im Büro“, so der Experte. Gelenkstrukturen und unser muskuloskelettales System würden Druck benötigen, könnten bei zu hoher Dosis aber auch zerstört werden. „Es gibt Schwellenwerte für die Belastung. Wirken zu große Kräfte, kommt es gewissermaßen zu Materialversagen – zu Schmerzen und damit verbundenen Mobilitätseinschränkungen.“
Diese zu lindern ist Aufgabe der Physiotherapie. „Bei der manuellen Therapie etwa werden Gelenke durch gezielten Druck und Bewegung zunächst zentriert und dann mobilisiert.“ Mit manueller Lymphdrainage hingegen werde überschüssige Lymphflüssigkeit abtransportiert. „Der Druck bei dieser Behandlung ist eher sanft – aber konstant. Und die Lymphdrainage entlastet die Erkrankten spürbar – indem sie wiederum schmerzenden Druck aus dem Gewebe nimmt.“
Bei der Triggerpunkttherapie suchen die Therapeut*innen Schmerzpunkte, auch Verhärtungen. Diese Punkte werden mittels „Druck“ gezielt und fein dosiert behandelt, um den Stoffwechsel anzuregen, die Elastizität und die Funktion der semielastischen Strukturen wiederherzustellen und den Schmerz zu minimieren“, erklärt Rembitzki. Bei der Faszientherapie schließlich werde mit Druck eine Querdehnung ausgelöst, um die häufig „verklebten“ Faszien zu lösen.
„Wir arbeiten in vielen Bereichen mit, Druck‘ in therapeutischer Dosis“, betont der Physiotherapeut. Nicht nur in der Schmerztherapie, sondern auch in der Geriatrie seien die Expert*innen im Einsatz. „Bei Osteoporose etwa brauchen die Knochen eine gezielte Druckbelastung, um Knochenmasse und -dichte zu erhalten und aufzubauen, wir arbeiten mit spezifischen Trainings am Knochenerhalt. Bei einem Sturz, der ab einem bestimmten Alter häufiger vorkommen kann, führt Druck oftmals zur Zerstörung von Knochen. Es kommt oft zu der bekannten Schenkelhalsfraktur. In diesen Fällen führen hohe Kräfte zu einem Materialversagen. Therapeutisch können wir präventiv mit einem speziellen Angebot tätig werden, um Stürze möglichst zu vermeiden.“
Aber auch nach Operationen gilt es, mit gezielter Kraftausübung wieder Muskelmasse aufzubauen. „Druck in der richtigen Dosis macht immer Sinn, gezielt und spezifisch eingesetzt ist er ein optimales Heilmittel – wenn man genau weiß, was man macht, vor allem bei vorgeschädigten Strukturen“, betont Rembitzki.
Auch Heide Gottlieb-Herholz, Leitende Physiotherapeutin im KRH Klinikum Agnes Karll Laatzen, setzt auf sanften Druck – etwa bei der Behandlung von Patient*innen in der Unfallchirurgie. „Wenn die Gelenke noch geschwollen sind und schmerzen, kann man mit sanfter Kraftausübung die Bewegungssperre lösen.“ Auch Lymphtapes lösen bei Bewegung Druck auf das Lymphsystem aus und helfen, den betroffenen Bereich zu entspannen. „Oft werden Fehlhaltungen durch schmerzende Gelenke verursacht“, erläutert die Therapeutin. Durch muskuläre Überbelastungen würden sich Verspannungen aufbauen – „all das lässt sich mit gezieltem Druck wieder in eine richtige Richtung bringen“.
Auch die klassische (Druck-) Massage hilft Erkrankten wieder auf die Beine. „Wir lockern bestimmte Bereiche, die für Probleme oder Schmerzen sorgen – etwa bei Asthma, Rheuma oder Lungenerkrankungen“, sagt Gottlieb-Herholz. Da sich ein verspannter Muskel stets verkürze, helfe zielgerichteter seitlicher Druck, um ihn wieder zu verlängern und damit zu entspannen. Nicht zuletzt Schlaganfallbetroffene können von einer druckentlastenden Therapie profitieren. „Eine spastische Lähmung verändert den Druck auf Gelenke, was wiederum zu Schmerzen führen kann. Mit gezielten Griffen werden Spastiken gelöst und wird Druck von den Gelenken genommen“, betont Rembitzki.
Aber auch die Bewegung und vor allem das Mithelfen der Betroffenen spielten eine wichtige Rolle. „Mit Druck allein bekommen wir nicht alles hin, dass eine nützt nichts ohne das andere.“ „Die Menschen benötigen für den Alltag ein gut integrierbares Programm zum Selbsttraining“, betont auch Rembitzki.