Der Übergang von Alkoholgenuss zu Sucht kann fließend sein. Wo liegt die Grenze? Gerhard Itzen ist Suchttherapeut und arbeitet als innerbetrieblicher Suchtberater in der Institutsambulanz der KRH Psychiatrie Langenhagen. Er gibt Tipps aus seiner 25-jährigen Erfahrung mit dem Thema.
Herr Itzen, nehmen wir das Beispiel Alkoholsucht, immer noch die Sucht mit dem größten Potenzial in Deutschland: Ab wann bin ich süchtig?
Itzen: So einfach ist das natürlich nicht zu beantworten, aber es gibt einige Faktoren, die auf eine Sucht hindeuten. Ein deutliches Anzeichen sind Entzugssymptome, wenn der Alkoholspiegel sinkt, also das klassische Zittern. Als Reaktion auf bestimmte Situationen trinken zu wollen ist ebenfalls ein Warnsignal. Das Trinken vor der Familie, Freunden und Angehörigen zu verheimlichen. Viele Gelegenheiten zu suchen, um trinken zu können. Wenn durch das Trinken das Interesse an anderen Dingen zurückgeht oder aus dem Glas Wein, um gut einzuschlafen, mittlerweile vier Gläser geworden sind, weil man mehr verträgt. Auch auffällig: Wenn Sie nach der Feststellung von kritischen Leberwerten die Frage des Arztes nach erhöhtem Alkoholkonsum bejahen, aber dann nichts ändern.
Was sind die Faktoren, die Menschen zu einer Alkoholsucht bringen?
Das ist sehr individuell. Vereinfacht könnte man sagen, dass man gelernt hat, bestimmte Standardsituationen mit Alkohol zu beantworten. Wenn ich ärgerlich, traurig oder enttäuscht bin, dann ist meine Lösung der Alkohol. Er ist sozusagen meine Antwort, diese Gefühle zu regulieren. Eine Lösung ist, hier neue Antworten zu finden. Gefühle anzusprechen, sich ein neues soziales Umfeld zu suchen, seine Bedürfnisse wahrzunehmen und zu leben.
Wenn ich nun feststelle, dass mein Alkoholkonsum aus dem Ruder läuft – wo suche ich mir am besten Hilfe?
Erst mal ist festzuhalten, dass äußerlicher Druck meistens der erste Impuls ist, um sich Hilfe zu suchen. Beispielsweise, wenn der Chef mit der Abmahnung und die Ehefrau mit der Scheidung drohen, die Kinder sich abwenden, die Miete nicht mehr gezahlt werden kann und eine Obdachlosigkeit droht, dann wird den meisten Menschen mit riskantem Konsumverhalten bewusst, dass sie erkrankt sind und Hilfe brauchen. Neben dem Zugang über das niederschwellige Suchthilfesystem in der Region Hannover können Betroffene sich entweder von ihrem Hausarzt überweisen lassen oder direkt mit uns Kontakt aufnehmen. Bei der Behandlung einer Suchterkrankung gibt es verschiedene Möglichkeiten im KRH: Für viele Betroffene ist eine Entgiftungsbehandlung von rund zwei Wochen auf der Station 7 bei uns in Langenhagen ein Einstieg in ein neues Leben. Es gibt bei uns zudem auch eine teilstationäre Behandlung, zum Beispiel in unserer Tagesklinik in der Königstraße in Hannover oder die ambulante Behandlung in unserer Institutsambulanz. Der genaue Therapieablauf ist am Anfang aber gar nicht wichtig, sondern die Bereitschaft, sich Hilfe zu suchen. Im heutigen Therapieverständnis sind Rückfälle, auch nach vielen Jahren Abstinenz, Teil der Erkrankung. Wir helfen, mit der Erkrankung Alkoholsucht umgehen zu lernen, ohne sein Leben aufgeben zu müssen.
Wie können Sie in der KRH Psychiatrie Langenhagen helfen?
Wir haben hier vor Ort ein erfahrenes Therapieteam aus Ärztinnen und Ärzten, Pflegefachkräften, Sozialpädagog*innen und Psycholog*innen. Wir bieten alle Aspekte der Versorgung von der stationären Entgiftung über eine tagesklinische bis zur ambulanten Behandlung. Wir schulen unsere Patienten zu Experten in eigener Sache und unterstützen sie dabei, das Leben mit einer Alkoholsucht anders zu gestalten. Ich kann nur raten, Hilfsangebote anzunehmen und sich und seine Bedürfnisse ernst zu nehmen.
Was ist Ihnen noch besonders wichtig zu erwähnen?
Mir ist noch wichtig zu sagen, wenn Sie jemanden im Bekannten-, Freundes- oder Kollegenkreis haben, der trinkt und sichtbar Probleme damit hat, Maß zu finden, dann sprechen Sie diese Person offen und wertschätzend darauf an. Die Annahme, es würde sich von selbst etwas ändern, funktioniert nicht und Sie machen sozusagen bei der Sucht des anderen mit. Alkoholkranke Menschen brauchen Hilfe zur Selbsthilfe. Gerade der erste Schritt, sich einzugestehen, dass aus Genuss eine Sucht geworden ist, ist der schwierigste.