Spielen die Gelenke nicht mit, gerät der Mensch aus dem Tritt. Um die Lebensqualität zu erhöhen, kann die Endoprothetik helfen: Ein Gelenkersatz erlaubt den Neustart.
Zuerst zuckt es nur dann und wann ein wenig in der Leiste. Dann schmerzen vielleicht nur die ersten Schritte. Spätestens aber, wenn Hüfte oder Knie auch beim gemütlichen Plausch auf dem Sofa schmerzen, ist dies ein deutliches Alarmzeichen: Dem Gelenk geht es nicht gut. Doch was nun? Die Endoprothetik – also der teilweise oder komplette Ersatz eines Gelenks in Hüfte, Knie oder Schulter – eröffnet inzwischen stark verbesserte Chancen. „Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten viel getan“, sagt Dr. Achim Elsen. Der Chefarzt an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am KRH Klinikum Robert Koch Gehrden ist Sprecher der Fachgruppe aller sechs Kliniken im KRH Klinikum Region Hannover, die eine Unfallchirurgie vorhalten. Der Facharzt zeigt eine Reihe ganz verschiedener Prothesen für Hüfte und Knie: Sie bestehen aus speziell beschichtetem Edelstahl, Titan, Kunststoffinlays, die mittels Vitaminen haltbarer werden, oder Knochenzement, der Antibiotika abgeben kann.
Solche Gelenkprothesen zeigen sich inzwischen nicht nur enorm haltbar. Auch die Operationsverfahren erlauben selbst den Komplettersatz einer Hüfte oder eines Knies innerhalb einer guten Stunde. Am KRH Klinikum Lehrte gelingt der Hüftersatz sogar minimalinvasiv. Hinzu kommen Robotikverfahren an den KRH-Standorten Großburgwedel und Robert Koch Gehrden, bei denen der Computer beispielsweise bei Knie oder Hüfte auf Basis einer Computertomografie errechnet, an welchen Stellen der vom Chirurgen geführte Roboterarm Knochen entfernen muss. Die Formel ist einfach: Je genauer eine Prothese passt, desto länger bleibt ihr Halt stabil.
Ursache nicht immer klar
Bilder des schmerzenden Bereichs geben zu Beginn der Diagnose Aufschluss über die möglichen Ursachen der eingeschränkten Mobilität: Wie steht es um den Gelenkspalt? Ist der puffernde Knorpel zwischen Kugel und Pfanne bereits beschädigt, sodass Knochen auf Knochen schmerzhaft aneinanderreibt? Auch der Laborbefund hilft weiter: Könnte ein Gelenkinfekt Ursache der Schmerzen sein? Oder eine Durchblutungsstörung? Fehlstellungen des Knies beispielsweise, die meist zunächst auf der Innenseite zu Abnutzung führen, zählen ebenso zu den möglichen Schmerzquellen wie rheumatische Erkrankungen oder auch Folgen eines Knochenbruchs. Zuweilen lässt sich auch gar kein eindeutiger Hintergrund ausmachen. Doch so oder so gilt: „Vor einer Operation“, so Elsen, „stehen – wenn möglich – konservative Methoden wie Krankengymnastik, beispielsweise zum gezielten Muskelaufbau, um geschädigte Bänder auszugleichen.“ Entzündungshemmende Medikamente oder das Einspritzen von Hyaluronsäure als „Gelenkschmiere“ runden die Operationsalternativen ab. „Unser Ziel ist, das Gelenk so lange wie möglich zu erhalten“, so der Fachgruppenleiter.
„Wir operieren keine Röntgenbilder“
Wann eine Operation nötig ist, entscheidet die betroffene Person selbst, betont Elsen. „Wir operieren Patienten und keine Röntgenbilder.“ Wer täglich in seiner Lebensqualität eingeschränkt ist, sollte über einen Gelenkersatz zumindest nachdenken, sagt der erfahrene Chirurg. Das wichtigste Ziel sei es, die Beweglichkeit des Körpers zu erhalten. „Die Ansprüche der Menschen sind enorm gestiegen.“ Insbesondere ältere Betroffene, so der Facharzt, verfolgten heute viel agilere Ziele als noch vor wenigen Jahrzehnten. „Deshalb geht es in erster Linie darum, was die Patienten wollen.“ Erst danach stelle sich die Frage nach dem dazu passenden Prothesenmodell. Die verbesserten Materialien, Modelle und Operationsverfahren entsprechen der gestiegenen Lebenserwartung und der Mobilität auch älterer Menschen. „Wir können heute bis zu drei- oder in Extremfällen sogar viermal ein Gelenk erneuern.“
Dass damit auch jüngere Patienten bereits für eine Komplettprothese infrage kommen, verändere an der Grundhaltung der Medizin jedoch nichts. „Wenn ein noch fitter und agiler Mensch beispielsweise aufgrund einer Fehlstellung Probleme mit dem Knie hat, versuchen wir zunächst, diese Stellung zu korrigieren“, sagt Elsen. Diese Operation, bei der die Gelenkteile zunächst abgetrennt und danach in verbesserter Stellung wieder mit den Knochen verbunden werden, ziehe allerdings eine deutlich längere Genesungsphase nach sich.
Nach der OP sofort auf die Beine
„Bei einem hochbetagten Menschen mit hohem Risiko einer Lungenentzündung oder Thrombose ist dieses Verfahren nicht geeignet. Da geht es in jedem Fall darum, die Person wieder so schnell wie möglich buchstäblich auf die Beine zu bringen.“ Mit spezieller Krankengymnastik können Betroffene schon am ersten Tag nach der Operation
wieder mit der Belastung beginnen. Die Endoprothetik offeriere die gesamte Bandbreite vom Teilersatz eines besonders geschädigten Bereichs bis zum vollständigen Ersatz des Gelenks. So kann beispielsweise das Knie über eine sogenannte Schlittenprothese, die ihren Namen der kufenähnlichen Form verdankt, nur dort eine neue Oberfläche erhalten, wo der Knochen bereits
besonders beschädigt ist. „Das funktioniert ähnlich einer Zahnkrone“, sagt Elsen. Das Ausmaß des Ersatzes richte sich nach vielen Aspekten, so auch nach dem Alter. „Wenn sich beispielsweise ein hochbetagter Mensch durch einen Sturz die Hüfte bricht, ersetzen wir in der Regel gleich das komplette Gelenk. Wir vermeiden damit eine zweite Operation in voraussichtlich kurzer Zeit“, sagt Elsen. „In Extremfällen, beispielsweise bei Tumorerkrankungen, können wir sogar den gesamten Oberschenkelknochen ersetzen.“
Schultergelenk steht kopf
Während es bei Knie und Hüfte in der Regel um die Rekonstruktion des natürlichen Gelenkaufbaus geht, haben die Operateure für die Schulter inzwischen den Gelenkersatz gewissermaßen auf den Kopf gestellt. „Die Kollegen am KRH Klinikum Agnes Karll in Laatzen haben ihre große Kompetenz in der Endoprothetik auch auf dieses Spezialgebiet des Schultergelenks ausgedehnt“, erläutert Elsen. Dabei tauschen die Kugel des Gelenks, normalerweise das Ende des Oberarmknochens, und die Pfanne schlicht ihren Platz. „Damit erhält das Gelenk insbesondere bei älteren Patienten eine größere Stabilität.“ Hintergrund ist der mit dem Alter schwindende Muskelstrang rund um das Schultergelenk, der dieses normalerweise in zentrierter Stellung zu halten vermag. „Ab dem 40. Lebensjahr geht die Stabilität dieser Muskelmanschette bei allen Menschen zurück“, sagt der Facharzt für Orthopädie. Gänzlich verhindern lasse sich Gelenkverschleiß nicht, räumt Elsen ein. Altersbedingter Abbau des Knorpels gehöre zum Leben dazu. Aber: „Ernähren Sie sich gesund“, sagt der Chirurg, „vermeiden Sie Übergewicht und bleiben Sie in Bewegung!“